....und warum streiten eigentlich sinnvoll ist
Unsere Ronja hatte heute Besuch aus der Nachbarschaft.
Ich mag das total, wenn die Nachbarskinder alle zusammen spielen. Das hat so viel von Freiheit und Selbstbestimmung, zudem spielt Ronja wirklich furchtbar gern mit anderen Kindern.
Kurzum, eine schöne Zeit.
Irgendwann stehen die 3 Mädels bei uns in der Küche, wo ich gerade das Abendessen vorbereite. Ronja erzählt: "Wisst ihr, Mädels, ich war vorhin echt sauer auf meine Mama. Ich war im Hintergarten und habe allein gespielt, weil wir uns davor gestritten hatten!". Darauf erwidert eines der Mädchen: "Also ich streite aber nie mit meiner Mama!".
Bäm. Das sass. Ich war total perplex im ersten Moment. So perplex, dass ich Ronjas Antwort überhaupt nicht hören konnte. Gedanken wie "Oh, so wünsche ich mir das eigentlich für meine Kinder auch!" und "Himmel, ich bin eine total miese und böse Mama!" kochten in mir hoch. Ehrlich, ich war total getroffen. Ich streite mich nicht gern, ich habe doch ein total großes Bedürfnis nach Harmonie! Und bei anderen klappt es also - aber bei uns nicht. Das hat weh getan.
Und dann, dann habe ich näher hingeschaut.
Was dabei herausgekommen ist, daran möchte ich euch jetzt teilhaben lassen!
1. Streiten ist beziehungsorientiert
So frei und unkonventionell wir als Familie auch leben - ich habe Werte und Prinzipien, die die Orientierung für unser Zusammenleben bilden sollen. Dazu gehören neben Freiheit auch Respekt, Gleichberechtigung, Beziehung und Bedürfnisorientierung. Wir wollen uns alle auf Augenhöhe gleichberechtigt begegnen- und niemand von uns hat mehr Gewicht bei seinen Bitten und Vorgaben oder mehr Macht in Form von Durchführungsgewalt. Was das mit Streiten zu tun hat? Nun, ich sehe es so: Nur, wenn man gleichberechtigt ist und sich auf Augenhöhe begegnet, lässt man sich auf eine Diskussion mit seinem Gegenüber ein! Nur, wer ohne Macht in Beziehung geht mit seinem Gegenüber geht, kann Raum für einen Streit schaffen - denn am Ende ist streiten nur offenes, emotionales Darstellen seiner Meinung (im Gegensatz dazu ist eine Diskussion meist nicht so "hitzig", also weniger emotional).
2. Streiten ist wertvoll und konstruktiv
Streiten kann, wenn man sich an einige Grundregeln hält (siehe unten), absolut lösungsorientiert, wertvoll und klärend sein. Streiten bedeutet erst mal lediglich, dass alle Beteiligten frei und ehrlich ihren Standpunkt und ihre Sichtweise äussern dürfen. Und solange das respektvoll und unter Einbeziehung der Bedürfnisse, die die Motivation hinter nahezu jeder Bitte und Aussage sind, geschieht, ist ein Streit nur eine emotionale Diskussion. Nur wer seine Bedürfnisse und seine Sichtweise mitteilen darf, kann ein gutes Miteinander leben!
Schon wieder Regeln.... Ja, wir haben uns ein paar Regeln für die Kommunikation überlegt. An sich typische Grundregeln, doch bei uns geht es oft (unter uns allen) emotional her, weswegen es hilft, wenn wir uns gegenseitig immer wieder an unsere Kommunikationsregeln erinnern. Diese sollen uns in keinem Fall einschränken, sondern wertvolle Kommunikation unterstützen. Dazu gehört vor allem, dass wir GfK= Gewaltfreie Kommunikation nutzen wollen. Die GfK ist ein riesiges Feld und beinhaltet genau das, was wir mit unserer Kommunikation schaffen wollen: Das Bedürfnis dahinter zu sehen (wenn es nicht klappt es selbst zu formulieren), positive Verbindung zu schaffen und Kommunikation auf Augenhöhe. Dazu gehört zB Bitten zu formulieren, leise zu sprechen, Ich-Botschaften zu formulieren (Ich höre gerade xy, Ich fühle dabei xy) und wenn es emotional wird, die Emotionen nicht gegen sein Gegenüber zu richten. Gar nicht so leicht - und ein Weg des Übens.
Versteht mich nicht falsch: Ich liebe Harmonie und trage in mir den Wunsch, dass es bei uns immer friedlich ist und alle stets glücklich mit befriedigten Bedürfnissen sind. Das ist natürlich absoluter Quatsch - und gelingt mir selbst oft am wenigsten, denn ich bin sehr emotional und trage mein Herz auf der Zunge. Streiten alla Meinungsverschiedenheiten gehören bei uns zur Tagesordnung. Es erweitert meinen Horizont, wenn ich die Sichtweise der anderen kennenlerne und Bedürfnisse lassen sich oft erst auf den zweiten Blick erkennen. Und seit ich streiten als konstruktiv annehmen kann, fällt es uns allen leichter, uns an die GfK zu halten und eine emotionale Meinungsverschiedenheit auszuhalten und ehrlich auszutragen, um am Ende Emotionen rauszulassen und Bedürfnisse zu erfüllen.
Kommentar schreiben